Schafe, Ziegen, Esel: tierische Trassenpfleger

Umwelt
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Die Schafe sind noch einigermaßen geduldig, die Ziegen schon weniger. Erna und Berta haben sich – ihre Hörner mögen ihnen dabei eine Hilfe gewesen sein – einen Platz in der ersten Reihe gesichert.

Ihnen ist klar: In wenigen Augenblicken wird Schäferin Simone Häfele (53) den Zaun wegnehmen, der sie noch umgibt, und damit den Weg freimachen auf eine neue Parzelle. Mit frischem Gras. Mit Eichen. Und, wer weiß, vielleicht auch der Spätblühenden Traubenkirsche.

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Kilometer

tierisch gepflegte Trasse zwischen Viernheim und Lampertheim in Südhessen

Schafe, Ziegen und auch einige separat stehende Esel – sie pflegen die etwa sechs Kilometer lange Amprion-Höchstspannungs-Stromtrasse zwischen Viernheim und Lampertheim in Südhessen. Parzelle für Parzelle weiden sie ab, pro Tag schaffen sie zwei. Diese „Naturrasenmäher“ sind ökologisch sinnvoller, können aber auch effizienter als die händische maschinelle Trassenpflege sein.

Es geht um Lebensraum für Tiere und Pflanzen, die sich in nährstoffreicher Umgebung nicht durchsetzen könnten.

Leonard Schwarz

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Referent für Natur- und Artenschutz bei Amprion

Schon seit 2006 betreibt Amprion im FFH-Gebiet Vierheimer Heide – die Abkürzung FFH steht für „Flora, Fauna, Habitat” und weist ein Areal als Schutzgebiet aus – Trassenpflege in Form von Beweidung. Schaf und Ziege statt Maschine lautet hier das Motto. „Wenn wir gezwungen sind, mit unseren Stromtrassen in die Natur einzugreifen, kommen wir nicht nur unseren gesetzlichen Verpflichtungen nach und kompensieren die Eingriffe, sondern gehen noch einen Schritt weiter. Wir werten die Trassen im Nachgang ökologisch durch unsere angepasste Pflege auf, schaffen dadurch neue Biotope und erhalten diese langfristig“, sagt Sabrina Hillebrand, Referentin für Natur- und Artenschutz bei Amprion. Ökologisches Tassenmanagement oder kurz ÖTM, das ist das seit vielen Jahren bei Amprion erfolgreich angewandte Trassenpflegekonzept für den sicheren Betrieb oberirdischer Leitungstrassen, bei dem ökologische Aspekte eine große Rolle spielen. „Und je nach örtlichen Gegebenheiten kann eben auch Beweidung eine gute Möglichkeit sein“, sagt Sabrina Hillebrand.

Info

Ökologisches Trassenmanagement

Das Ökologische Trassenmanagement bietet an die jeweiligen Örtlichkeiten angepasste, ökologisch sinnvolle Pflegemaßnahmen und Entwicklungsansätze, die in Absprache mit Eigentümer*innen und Behörden umgesetzt werden. Diese schaffen stabile Biotopstrukturen, welche langfristig durch möglichst extensive Pflege unterhalten werden können. Das Konzept vereint die Nachhaltigkeitsziele der Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft, wodurch die Trassenpflege mit positiven Veränderungen für vorkommende Tier- und Pflanzenarten und das Landschaftsbild verbunden ist.

Mehr zum ÖTM

Ein schlichtes Piktogramm oder Logo, das einen Baum stilisiert darstellt. Es besteht aus einer dunkelgrauen oder schwarzen Umrisslinie. Die Baumkrone ist als Dreieck geformt, wobei die rechte Seite des Dreiecks abgerundet ist, was eine leichte Asymmetrie oder eine organischere Form andeutet. Im Inneren des Dreiecks ist der Baumstamm als vertikale Linie und zwei Äste als diagonale Linien dargestellt, die von einem Punkt auf dem Stamm nach oben und außen verlaufen.

In der Viernheimer Heide ist sie jedenfalls ein voller Erfolg. „Die Zusammenarbeit mit Amprion und der Hessischen Forstverwaltung ist hervorragend“, lobt Simone Häfele. Die Forstverwaltung ist von Amprion beauftragt und beauftragt ihrerseits die Schäferin.

Nährstoffarme Mager-Landschaft ist das Ziel

Was aber ist das Ziel der Beweidung? „Hier geht es darum, eine nährstoffarme Mager-Landschaft zu erhalten“, erklärt Leonard Schwarz, wie Sabrina Hillebrand ebenfalls Referent für Natur- und Artenschutz bei Amprion. „Die Magerwiese, die überhaupt erst durch Beweidung entstanden ist – sie ist Lebensraum für viele Tiere und Pflanzen, die sich an nähstoffreichen Standorten nicht durchsetzen könnten.“ Magere Böden werden immer seltener, viele sind mit Nährstoffen übersättigt. Genau da helfen die tierischen Trassenpfleger. Schafe und Ziegen halten die Weideflächen offen und kurz. Das fördert konkurrenzschwache und lichtbedürftige Arten.

Konkurrenzschwache Pflanzen sind Arten, die im Wettbewerb um Licht, Wasser und Nährstoffe benachteiligt sind, aber auf Standorten überleben, wo „starke” schnellwachsende Pflanzen nicht wachsen können. Auch teils seltene Insekten, zum Beispiel Schmetterlinge, schätzen diesen Lebensraum.

Die Ziegen Erna und Berta, ihre Artgenossen und die Schafe sind inzwischen auf der neuen Fläche. Einige hochmotivierte Ziegen machen sich gleich über die Eicheln an einem Baum her, stellen sich auf die Hinterläufe, damit sie die Früchte erreichen. Die meisten Schafe lassen es hingegen geruhsamer angehen als die Ziegen, die auch viel schneller fressen.

Die Schafe machen die Hauptarbeit

Simone Häfele beobachtet entspannt das Geschehen. Sie erklärt, dass jede Tierart ihre klar definierte Aufgabe hat: „Die Schafe machen die Hauptarbeit“, sagt Simone. „Sie fressen Gräser und Kräuter.“ Was sie aber nicht so gerne anrühren: die Spätblühende Traubenkirsche. Diese invasive, also aus Nordamerika eingeschleppte Art will man eindämmen. Würde sie sich verbreiten, würde sie unter anderem der von ihnen beschatteten Moos- und Krautschicht das Licht nehmen. Sie ist giftig, für Menschen, aber auch für die meisten Tiere. Das liegt insbesondere an der darin enthaltenden Blausäure. Erstaunlicherweise mögen aber einige Ziegenarten die giftige Traubenkirsche und vertragen sie gut. Nicht zuletzt deshalb sind sie willkommene Mitarbeiter bei der Trassenpflege.

Wie Schafe und Esel Biodiversität fördern

Schafe

Schafe verschleppen über Wolle, Kot und Klauen Pflanzensamen und Insekten über die verschiedenen Weiden. Dieser Prozess wird Zoochorie genannt und trägt wesentlich zur Förderung der Artenvielfalt bei. Schafe sind somit ein mobiler Verbund zwischen verschiedenen Standorten. Die Beweidung mit Schafen und Ziegen fördert die Biodiversität in erheblichem Ausmaß.

Esel

Und dann gibt es ja noch die Esel, die etwas abseits der Trasse stehen. Durch ihr typisches Verhalten, das Scharren im Boden und Wälzen zur Körperpflege, sorgen sie auf sandigen Flächen dafür, dass es immer offene Stellen gibt. Genau diese schaffen Lebensraum für Pionierarten, die sich gut an neue, noch vegetationsfreie Lebensräume anpassen können. Zum Beispiel das Silbergras. Wichtig ist das auch für Wildbienen, da 70 Prozent aller Wildbienen Bodenbrüter sind.

Ein Pilz wächst auf Esel-Dung

Selbst der Esel-Dung ist übrigens ein Mikro-Lebensraum: Poronia punctata, gelegentlich auf Deutsch auch Punktierte Porenscheibe genannt, ist ein Pilz, der alten Dung pflanzenfressender Säugetiere besiedelt. Weil nur noch wenige Pferde und Esel extensiv auf Weiden grasen, ist der Pilz inzwischen auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten. In der Viernheimer Heide gibt es ihn noch.

Altdeutsche Hütehunde sind temperamentvoll, draufgängerisch, arbeitswillig und sehr eigenständig.

Simone Häfele

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Schäferin

Zurück bei den Schafen und Ziegen. Simone Häfele holt zwei vierbeinige Kollegen. Es sind Altdeutsche Hütehunde, ebenfalls vom Aussterben bedroht. „Sie werden nicht nach äußeren Merkmalen gezüchtet, sind typische Arbeitshunde: temperamentvoll, draufgängerisch, arbeitswillig und sehr eigenständig“, sagt die Schäferin.

Und was die Schafe betrifft: Ihr Verhalten gegenüber den Hunden ist aus Sicht der Schäferin einer von vielen Belegen dafür, dass die Tiere alles andere als „dumm“ sind. „Sie erkennen die Hunde und wissen genau, was sie sich beim jeweiligen Hütehund erlauben können und was nicht“, sagt Simone Häfele.

Unterdessen wird es langsam dunkel in der Viernheimer Heide. Erna und Berta, ihre Artgenossen und die Schafe sind bald fertig mit der Parzelle. Aber die nächste wartet schon.