Netzwiederaufbau in Süddeutschland

Hochfahrnetze im Praxistest

Wie stellt man die Stromversorgung nach einem Zusammenbruch des Netzes wieder her? Erstmals haben dies die Übertragungsnetzbetreiber Amprion und TransnetBW gemeinsam mit der Schluchseewerk AG unter realen Bedingungen getestet. Anders als in vorangehenden virtuellen Simulationen haben die Partner Ende April einen Teil des realen Netzes abgekoppelt, ausgeschaltet und wiederaufgebaut. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

1. Warum üben Übertragungsnetzbetreiber den Netzwiederaufbau?

Das Übertragungsnetz bildet das Rückgrat der Energieversorgung und ist ein komplexes und widerstandfähiges System. Schwerwiegende Störungen sind rar. Das System ist so ausgelegt, dass auch bei Fehlern keine Einschränkungen bei Endkunden entstehen. Dennoch kann auch das Übertragungsnetz theoretisch an seine technischen Grenzen kommen – es käme im schlimmsten Fall zu einem europäischen Blackout. In diesem unwahrscheinlichen Fall ist das ganze Übertragungsnetz spannungsfrei, es fließt kein Strom. Bevor wieder Endkunden versorgt werden können, muss das Übertragungsnetz Schritt für Schritt unter Spannung gesetzt werden.

2. Wie funktioniert der Netzwiederaufbau?

Am Anfang steht ein sogenanntes schwarzstartfähiges Kraftwerk. Es kann aus eigener Kraft – ohne Stromzufuhr von außen – angefahren werden und sowohl Blindleistung als auch Wirkleistung liefern. Ausgehend von diesen Kraftwerken bauen die Netzbetreiber sogenannte Hochfahrnetze, die strahlenförmig in das Versorgungsgebiet hineinragen. Sie umfassen bestimmte Stromleitungen und Anlagen, die für diesen Zweck ausgewählt wurden. Die einzelnen Hochfahrnetze werden zusammengeschlossen und weiter ausgebaut, bis wieder das gesamte Netz unter Spannung steht.

3. Wie haben die Partner den Test vorbereitet?

Die Vorbereitungen für den Test der Hochfahrnetze dauerten vier Jahre. Die beteiligten Unternehmen haben unter Projektleitung von Amprion detaillierte Pläne ausgearbeitet und abstimmt – auch mit den regionalen Verteilnetzbetreibern, die indirekt vom Praxistest betroffen waren. Die Vorbereitungen waren detailliert auf die Gegebenheiten im Netz abgestimmt. So kam es zu keinen Versorgungsunterbrechungen bei Kunden, obwohl einzelne Leitungen, die zu den Hochfahrnetzen zählen, nicht dem normalen Netzbetrieb zur Verfügung standen. Über technische Fragen hinaus mussten auch administrative Hürden genommen werden. Außerdem wurde der Versuch nicht nur von Beschäftigten in der Systemführung, sondern auch von Mitarbeitenden vor Ort in den Anlagen begleitet. Dafür waren die Personalplanungen der Partner anzupassen.

4. Wie verlief der Praxistest konkret?

Der Test erfolgte in drei Schritten:

Maschinensatz im Kraftwerk Wehr

(Fotos: Schluchseewerk AG)

  • Schritt eins: der Schwarzstart. Ein Pumpspeicherkraftwerk der Schluchseewerk AG wurde aus eigener Kraft hochgefahren.
  • Schritt zwei: die sogenannte Spannungsfahrt. Damit Stromleitungen Strom transportieren können, müssen sie unter Spannung stehen. Dazu liefert das Kraftwerk Blindleistung. Die Übertragungsnetzbetreiber achten dabei darauf, dass die Spannung nicht zu hoch ansteigt, weil dies die Leitungen beschädigen könnte.
  • Schritt drei: die Wiederversorgung von Verbrauchern. Dabei liefert das Pumpspeicherkraftwerk Wirkleistung. Während des Tests wurden natürlich alle Endkunden weiter versorgt, Verbraucher wurden durch das Einschalten von Pumpen abgebildet. Weil auch in einem Hochfahrnetz jederzeit Erzeugung und Verbrauch im Gleichgewicht sein müssen, schalten die Übertragungsnetzbetreiber Verbraucher nacheinander zu, während das Kraftwerk gleichzeitig schrittweise die Wirkleistung erhöht. Wenn die Hochfahrnetze stabil aufgebaut sind, werden sie zu größeren Netzabschnitten zusammengeschaltet.

5. Wie lief die Zusammenarbeit der Partner?

Die Übertragungsnetzbetreiber Amprion und  TransnetBW haben gemeinsam mit der  Schluchseewerk AG einen wichtigen Teil ihres gemeinsamen Wiederaufbaukonzepts getestet. Die Schluchseewerk AG hält sowohl für Amprion als auch für TransnetBW Leistung vor, die für den Fall eines Schwarzstarts zur Verfügung steht. Bei diesem Test konnten die drei Unternehmen zeigen, dass das abgestimmte Vorgehen wie geplant funktioniert. So sind die Pumpspeicherkraftwerke aus eigener Kraft hochgefahren und haben die Hochfahrnetze unter Spannung gesetzt. Amprion und TransnetBW konnten zeigen, dass sie unter Praxisbedingungen in der Lage sind, ein Hochfahrnetz auszutarieren und zu betreiben sowie diese Netze zusammenzuschalten und sich gegenseitig zu stützen. Darüber hinaus haben die Übertragungsnetzbetreiber die Gelegenheit ergriffen, weitere Detailaspekte beim Netzausbau zu erproben. So stellte Amprion an einer Stelle künstlich einen Kurzschluss her, um dessen Auswirkungen im Netzaufbau zu testen. Darüber hinaus erprobten sie verschiedene Arten, die Versorgung wieder aufzunehmen (Auflastversuche).

6. Wie wird der Test ausgewertet?

Der Test der Hochfahrnetze wurde von umfangreichen Messungen begleitet. Die Expertinnen und Experten aus den Häusern haben in Abstimmung mit der TU Kaiserslautern Vorrichtungen aufgebaut, die es erlaubten, das Netz während des Wiederaufbaus in allen Aspekten zu vermessen. Einen solchen Versuchsaufbau gab es bisher nicht in Deutschland, der Aufwand bei den Messungen war der größte seiner Art. Von den gewonnenen Daten versprechen sich die Expert*innen umfassende neue Einblicke in die Technik der Netze. Die erhobenen Daten werden im Nachgang an der Universität Duisburg-Essen gemeinsam mit Amprion ausgewertet. Die Erkenntnisse werden dabei helfen, Simulationsmodelle für den Netzaufbau zu verfeinern.

7. War die Netzsicherheit während des Tests in Gefahr?

Nein, der Praxistest hatte keine Auswirkung auf den normalen Netzbetrieb und die Stromversorgung in Süddeutschland.

Weiterführende Informationen

Erfolgreicher Praxis-Test

Amprion, TransnetBW und die Schluchseewerk AG haben den Netzwiederaufbau in Süddeutschland geprobt.

 Zur Pressemitteilung

Das Bild im Querformat zeigt einen Mann mit Schaltplan vor dem Rückmeldebild - einem großen Monitor.

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